Nach Jahrhunderten männlicher Hegemonie ist das Verhältnis der Geschlechter seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Bewegung geraten. Eine komplexe Entwicklung hin zu wirklicher Gleichberechtigung, Gemeinsamkeit und Harmonie zwischen Frau und Mann findet seitdem statt.
Ein Aspekt der Frage, wie weit wir inzwischen auf diesem Weg vorangeschritten sind, ist quasi feldforschungsartig beantwortbar. Denn sobald die Situation entsteht, daß mehrere Männer unter sich sind, läßt sich beobachten, in welchem Ausmaß beim unausweichlichen Thema "Frauen" Verdinglichendes, Abwertendes, gar Zotiges die Gedankenwelt der Gesprächspartner dominiert.
In Unbeschreiblich weiblich findet sich die ja rein maskuline Gesellschaft des traditionell eher konservativ gefärbten Männerchores in einer ungewohnten Lage wieder: ausschließlich Texte von Frauen sollen artikuliert werden! Meist ohne literarisch ausnehmend anspruchsvoll zu sein, thematisieren elf Gedichte von elf Autorinnen die Beziehungen der Geschlechter und sind dabei, indem sie die gewohnte Sichtweise immer wieder umkehren, durchaus frech, ironisch, gelegentlich sogar provozierend. Diese Attacken und diesen Blick aus weiblicher Perspektive aushalten und über sich selbst lachen, Distanz zu sich selbst haben, sich selbst in Frage stellen und nicht so ernst und wichtig nehmen zu können, würde nach meiner Ansicht ein beachtliches männliches Selbstbewußtsein bekunden.

Alle elf Stücke von Unbeschreiblich weiblich für Männerchor, dessen Klang ich liebe und späterhin auch in meinen Kompositionen "Sredi Polnoči/Mitten um Mitternacht" (für Sopran, Mezzosopran, Männerchor und großes Orchester) und "Frühlingsfeuer" (für Sopran, Männerchor, Klavier und 2 Schlagzeuger) verwendet habe, arbeiten mit übersichtlichem, prägnant-einfachen Material und sind stets unmittelbar am Text orientiert, den sie weniger ausdeuten denn mit Klang aufladen. Heikle Worte sind dabei nicht ausgespart, aber auch nicht eigens herausgestellt oder pointiert. Einen inneren Wendepunkt stellen die beiden letzten Stücke dar, in denen der Atem großer Dichtung weht, visionär die Sehnsucht der Geschlechter nach einander ausdrückend.
Nach oben