UNVERHOFFTES WIEDERSEHEN Meditation über eine Kalendergeschichte
Musikalische "Zeit-Weichen" durch 50 und mehrere hundert Jahre
Johann Peter Hebel hat in seinen Kalendergeschichten einen Vorfall erzählt, der sich tatsächlich im schwedischen Städtchen Falun zugetragen hat. Er hat damit ein Begebnis weitergegeben, das die Menschen bereits zur Zeit seines Geschehens zutiefst berührt hat. Acht Tag vor der Hochzeit verunglückt der junge Mathias bei seiner Arbeit im Bergwerk. Er wird verschüttet. Seine Braut Anna trauert um ihn über 50 Jahre lang, bis man seinen Leichnam findet. Das Salz des Stollens hat ihn so jung bewahrt wie zur Zeit des Unfalls. Das mittlerweile alte Weiblein erhebt Ansprüche auf den Leichnam, da er nach wie vor ihr Bräutigam ist. Sie weiß, daß es nicht mehr lange dauert, bis sie mit ihm vereint sein wird und sagt am Schluss: "Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald und bald wird´s wieder Tag."
Der deutsche Komponist Alois Bröder hat diese Erzählung seiner Oper Unverhofftes Wiedersehen zugrunde gelegt und selbst nach Hebels Texten das Libretto geschrieben.
Mit einem an Klangfarben reichen Orchester führt er den Zuhörer zur Meditation über die Zeit, die in dieser Geschichte mehr als relativ wird. Was sind 50 Jahre, in denen sich ein Mensch aufgrund seines Todes nicht verändert, der andere aber alt geworden ist und dessen Gefühle trotzdem sich in keiner Weise gewandelt haben? Regisseur Gregor Horres lässt bei seiner Inszenierung in der BlackBox des Musiktheaters Linz auf stilisierten Bergwerkstollen Videos ablaufen, die einige Jahrhunderte herauf bis in die jüngere Vergangenheit die "Zeit-Weichen", wie sie der Komponist bezeichnet, stellen. Während historische Geschehnisse in den 50 Jahren bis zum Auffinden des Leichnams wie der Tod von Kaiser Franz, der Siebenjährige Krieg oder die Teilung Polens auf der linken Seite eingeblendet werden, kommentieren Hakenkreuze, eine Aufnahme von einem Elvis-Konzert oder Katastrophen wie eine Sturmflut den engen Zeitrahmen zwischen 1670, dem Jahr, in dem das Unglück passierte, und die Auffindung von Mathias nach fast 50 Jahren.
Unter der musikalischen Leitung von Takeshi Moriuchi führen Instrumentalisten des Bruckner-Orchesters mit dem Chor des Landestheaters Linz die in ihrer Feinheit äußerst delikaten und technisch herausfordernden Klangbilder Bröders beeindruckend aus. Justus Seeger ist der Sprecher, der nicht ganz nachvollziehbar ständig harte Eier verzehren muss und dennoch auch mit vollem Mund deutlich die Gedanken von Johann Peter Hebel rezitieren kann. Mathias wird vom Schauspieler Paweł Żołądek dargestellt und erhält vom Tenor Xiaoke Hu seine Stimme.
Die Teilung der einen Gestalt in zwei Personen bringt feine Irritationen in den Ablauf, in dem der Tod, Rastislav Lalinsky angetan mit weißem Pelzmantel und ein auf der Projektionsfläche tanzendes Gerippe, eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Anna ist Julia Grüter, die sich von der lebensvollen jungen Frau in ein altes Weib wandeln muss, um schließlich mit Entschlossenheit ihre Anwartschaft auf den aufgefundenen Leichnam ihres Bräutigams gegen alle Zeitläufte durchsetzen zu können.
Johannes Gans,
(Kultur und Wein, 1.3.2018)
Weltliteratur in 750 Wörtern
Unverhofftes Wiedersehen: Das Landestheater-Opernstudio überzeugte.
Gerade einmal 750 Wörter hat die Geschichte, die 1811 in dem von Johann Peter Hebel herausgegebenen Kalender "Der Rheinische Hausfreund" erschien. Und doch ist Unverhofftes Wiedersehen ein Stück Weltliteratur und offensichtlich genug Stoff für eine rund 75-minütige Kammeroper des deutschen Komponisten Alois Bröder, die am Sonntag in der BlackBox des Musiktheaters ihre Österreich-Premiere erlebte.
Eine Woche vor der Hochzeit wird der Bräutigam im Bergwerk verschüttet und wird wie sich 50 Jahre später herausstellen sollte durch "Vitriolwasser" lebensecht konserviert. Seine Braut erlebt in dieser langen, historisch bewegten Zeit nur ihr eigenes Älterwerden. Der Anblick der unversehrten Leiche ist wie ein zweiter Frühling, das Begräbnis ihre Hochzeit.
Bröders Musik ist eigentlich keine Oper, sondern vielmehr eine symphonische Dichtung mit obligatem Gesang, die speziell im zweiten Teil, in dem die Geschehnisse zwischen Verschwinden und Auftauchen des Jünglings beschrieben werden, sogar die Hauptrolle einnimmt.
Das von Gregor Horres (Regie) und Elisabeth Pedross (Ausstattung) entworfene Konzept ist beeindruckend, indem man das Orchester und den Chor hinter dem Publikum platziert hat, was Bröders teilweise sehr tonale, ja beinahe ätherische Musik übersinnlicher und transzendentaler erscheinen lässt. Alois Bröder ist mit seiner subtilen, vielfach reduzierten klanglichen Umsetzung etwas Besonderes gelungen, das in der szenischen Realisierung einen symbolistischen, sehr direkt erzählenden Theaterabend beschert.
Das Ensemble setzt sich aus den Mitgliedern des Opernstudios zusammen, das an diesem Abend von Julia Grüter als Anna angeführt wird. Ihr gelingt nicht nur eine mitreißende Darstellung, sie versteht es auch vorzüglich, die wenigen Gesangspassagen für sich ideal zu nutzen. Xiaoke Hu begeisterte als Stimme des Matthias, Rastislav Lalinsky als Tod, und Justus Seeger führt als Sprecher und Pfarrer gekonnt durch diesen Abend. Der Tänzer Pawel Zoladek mimt den Bräutigam Mathias, was spannende Situationen hervorruft. Chor und Orchester wurden stimmig von Takeshi Moriuchi geleitet.
Michael Wruss
(Oberösterreichische Nachrichten, 27. 2.2018)
Kann Liebe den Tod besiegen?
Premiere im Musiktheater: Unverhofftes Wiedersehen in der BlackBox
Die österreichische Erstaufführung von Alois Bröders Kammeroper Unverhofftes Wiedersehen erlebte am Sonntag in der BlackBox des Musiktheaters ihre bewegende, freundlich akklamierte Premiere. Ihr Thema ist schnell skizziert: Es beruht auf einer wahren Begebenheit in einem schwedischen Bergwerk, die Johann Peter Hebel 1811 in einer "Kalendergeschichte" dargestellt hat: Der Bergmann Mathias will seine Anna heiraten; noch vor der Hochzeit kommt er bei einem Grubenunglück ums Leben. Es verstreichen rund 50 Jahre, ehe seine Leiche durch Zufall entdeckt wird. Einzig seine ihn immer noch liebende Braut kann ihn beim "unverhofften Wiedersehen" identifizieren und sieht getröstet wie gefasst ihrem eigenen Tod entgegen. Das Wort "Handlung" in dieser Beschreibung durch "Thema" und "Skizze" zu ersetzen, liegt nahe. Denn Bröder hat in seine Arbeit vor allem tiefgehende philosophische Reflexionen über Liebe, Zeit und Tod verpackt, die von einer überwiegend ruhig dahinfließenden, dem Melos nahestehenden Musik getragen werden sollen.
Dies könnte auch gelingen, wenn die gesungenen und gesprochenen Texte in Anbetracht fehlender Übertitelprojektion besser verständlich wären. So aber macht sich trotz aller zweifellos vorhandenen Qualitäten von Komposition, Inszenierung und Wiedergabe da und dort Langatmigkeit breit. Daran kann auch die an sich erfrischende Kürze des in drei Teilen (Verlobung und Unglück, Totentanz, Wiedersehen und tröstender Ausklang) angelegten Werkes wenig ändern, zumal es eher den Charakter eines szenischen Oratoriums als den einer Oper ausstrahlt.
Eine fast ausschließlich solistisch besetzte Kammer-Formation des Bruckner Orchesters meistert die nicht unschwierige Partitur voll transparenter Klänge, die sich immer wieder mit harten Blechbläser-Einwürfen, Perkussions-Attacken, aber auch zarten Harfentönen mischen. Takeshi Moriuchi bewältigt engagiert und umsichtig die musikalische Gesamtleitung. Der Theaterchor kommentiert das Geschehen solide, zumeist in Form von Chorälen. Ungewohnt: Chor und Orchester arbeiten hinter dem Publikum. Die Inszenierung Gregor Horres‘ versucht Leben in die vergeistigte Betrachtung zu bringen, was zum Teil gelingt: Die Grundidee des bewegten Bühnenbilds (Elisabeth Pedross) bringt reizvolle Abwechslung, auch die strenge Choreografie der Figuren wirkt anfangs spannend. Detailreiche Symbolik schwankt zwischen Schlüssigkeit und Rätselraten. Die Wartezeit der 50 Jahre wird mittels Videos (Petra Zöpnek) mit einem zweigeteilten "Totentanz" überbrückt, der einerseits Hebel getreu zitiert, andrerseits mit Aufnahmen von Ereignissen des 20. Jahrhunderts den zeitlosen Kontrast zwischen Einzelschicksal und Weltgeschehen suggeriert. Die Vokalisten Xiaoke Hu (Stimme des Mathias), Rastislav Lalinsky (Tod) und Justus Seeger (Sprecher, Stimme des Pfarrers) bringen individuell, abgesehen von der Artikulation, überzeugende Leistungen. Herausragend das Liebespaar: Julia Grüter gibt eine tief berührende Anna, und Pawel Zoladek strahlt stumm im Tanz die tragischen Emotionen des Mathias aus. Resümee: Der Paarlauf von Kunst und Philosophie glückt nicht zur Gänze.
Paul Stepanek
(Neues Volksblatt, 26.2.2018)
Hochkarätige Opern-Erstaufführung im Musiktheater Linz
"Unverhofftes Wiedersehen"
Die österreichische Erstaufführung der Kurzoper Unverhofftes Wiedersehen von Alois Bröder fand in der BlackBox des Linzer Musiktheaters begeisterten Anklang. Die musikalische Aussagekraft der zeitgenössischen Komposition war äußerst kraftvoll und reich an Motiven mit atmosphärischen Klangverbindungen.
Die dramatische Handlung ist einer wahren Kalendergeschichte von Johann Peter Hebel entnommen und schildert das Glück eines jungen Paares vor der Hochzeit. Der Bräutigam kehrt aber von seiner Arbeit im Bergwerk nicht mehr zurück und wird erst nach 50 Jahren aus dem Salz geborgen mit immer noch jugendlichem Aussehen. Die Dorfgesellschaft steht vor einem Rätsel. Nur seine zur Greisin gealterte ehemalige Braut erkennt ihn wieder.
Die Mitglieder des Oberösterreichischen Opernstudios beeindrucken mit intensiver Darstellung und stimmlicher Klangfähigkeit, allen voran Julia Grüter als Anna, Pawel Zoladek als Mathias und Justus Seeger als Pfarrer. Rastislav Lalinsky war als Tod markant.
Gregor Horres war um eine ausdrucksvolle Inszenierung bemüht, die mit gut beweglichen Bühnenbauten (Elisabeth Pedross) und Videos von Petra Zöpnek gekonnt verstärkt wurde. Für musikalische Sicherheit sorgte Dirigent Takeshi Moriuchi mit dem profunden Bruckner Orchester, besonders bei den historischen Weltereignissen. Dazu gesellte sich der glänzende Chor des Landestheaters (Einstudierung Martin Zeller). Das Premierenpublikum war tief beeindruckt und feierte die hochkarätige Erstaufführung.
Fred Dorfer
(Kronen Zeitung, 27.2.2018)