Ein Titel wie der meines Klavierstücks von 1991 geht nur schwer über die Lippen, es droht die Gefahr der Übertreibung und damit der Verharmlosung, wo er doch durchaus ernsthaft gemeint ist. Meine Grundidee, nein besser: mein wirklicher und einziger Wunsch in diesem Stück war, mich von dem Überdruck einer biographischen Situation zu befreien, die Schmerzlast aufzulösen, loszuwerden in Klang, wissend, daß es für andere nichts Entfernteres gibt als fremde Schmerzen – ein für mich noch immer singulärer Vorgang.
Am Klavier improvisierend spürte ich, daß mir dies nur mit einem stark reduzierten musikalischen Material gelingen könnte, spürte, wie nur wenige einsame Töne sich mit Spannung aufladen können, wie nur sehr wenig sehr viel bedeuten kann.
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Das zentrale musikalische Material in TOMBEAU besteht im wesentlichen aus der absteigenden großen, zum Schluß hin der kleinen Sekunde, beides historisch vorgeprägten Leidens-, Trauer- und Seufzergesten, die ich auf die Art ihrer gegenwärtigen Verwendbarkeit hin überprüfen mußte. Die Sekundgestalten erscheinen fast immer leicht erkennbar, quasi an der Oberfläche; andere Lagen und Anschlagsarten bzw. eine jeweils neue Klangeinbettung bestimmen ihre Verwandlungen. Aggressive Ausfälle unterbrechen diese lamentoartigen Teile.
Sparsamste Mittel wandte ich auch für die ausgedehnteste eruptive Partie an: Ein einziger Akkord wird mit Hilfe gelegentlicher Lagenwechsel und nur wenig veränderter Rhythmik und Dynamik quasi "zerhämmert". Zum Schluß, wie ein Abgesang, die fast nackte und unverstellte Melodie, und diese ist ein Zitat, musikalisch und semantisch meinem Stück verwandt, nämlich "Nun seh’ ich wohl, warum so dunkle Flammen..." aus Mahlers "Kindertotenliedern". Was folgt, ist ein langes Verlöschen...

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