Beschäftigung mit Vergangenem bedeutet nicht notwendigerweise Nostalgie oder Konservatismus. Dem wäre nur dann so, betrachtete man Tradition und Fortschritt als Gegensatzpaar, sähe man im Vergangenen nur das Sedimentierte und nicht auch das Potential, interpretierte man die Geschichte der Musik (und jegliche Geschichte?) als einlinigen Fortschritt, als eine kontinuierliche Entwicklung von Niederem zu Höherem, also als Pfeil, und nicht als Netz, das Ideen, Materialien, Archetypen über die Jahrhunderte miteinander verknüpft.

Wie bereits "Sept Variations" und "Sept Nouvelles Variations" arbeitet Sei Variazioni – damit nun eine "Werkreihe" über nahezu 30 Jahre bildend – mit Elementen, Momenten, Materialien von Kompositionen der Vergangenheit. Anders als die beiden früheren Variationenzyklen bezieht sich die jüngste Arbeit aber auf keinerlei Instrumentalwerke, sondern ausschließlich auf Opern, die obendrein – wiederum anders als zuvor – sämtlich vom selben Komponisten stammen - nämlich von Giacomo Puccini. Ein nicht ungewagtes Unterfangen angesichts der immensen Beliebtheit seiner Opern und der in der "Neuen Musik" noch immer nicht verschwundenen Einwände ihnen gegenüber.

Keinesfalls geht es in Sei Variazioni um den Versuch einer Ausdeutung, Interpretation oder gar Persiflage dieser Werke. In sechs mal 4-6 Minuten wird Material zumeist nur weniger Takte aus sechs verschiedenen Puccini-Opern verwendet und im wörtlichen Sinn von 'Variation' 'verändert'. So ist es zwar jeweils quasi omnipräsent, wird dabei aber auch mit Eigenem konfrontiert und von solchem ergänzt und angereichert. Es handelt sich um keine Mini-Opern oder irgendeine Art von sängerlosem Konzentrat oder gar um ein Potpourri, sondern um ein aus – immer wieder auch kenntlich werdenden – Vertrautem gefügtes Neues. In der jeweiligen Oper weit Auseinanderliegendes gerät in unmittelbare Nachbarschaft. Gleichzeitigkeiten eigentlich entfernt voneinander auftretender Strukturen lassen neue Charaktere entstehen. Unbekanntes gewinnen aus Bekanntem. Auch wie ein Blick unterm Mikroskop. In das musikalische Material eingreifen und es weiterführen. Ein Spiel auch mit Popularität und Pathos. Identifikation und zugleich ein Blick aus der Distanz. Puccini-Charaktere verwandeln sich in ein Anderes, um dann zumeist in weltverlorenen Pianissimo-Inseln, in verlöschenden Schlüssen zu sich zurückzukehren. Sie sind dann keine Zitate, sondern zu sich selbst gekommene Augenblicke, entstiegen einem fremd-vertrauten Zusammenhang. Momente der Sehnsucht, des Leuchtens, der Herzenszerrissenheiten.