Seitdem der erste Mensch die Augen geöffnet hatte, gehört der gestirnte Himmel in seinen Variabilitäten und Periodizitäten zu den unveränderlichen Bedingungen, die uns umgeben und sich auf unser Leben auswirken. Die berühmte, erst um den letzten Jahrtausendwechsel in Mitteldeutschland völlig unerwartet wiederaufgefundene Himmelsscheibe von Nebra ist die bislang älteste bekannte Darstellung dieses Firmaments. Aus heutiger Sicht verbindet sie die Geheimnisse der tiefsten Weiten des Alls mit denen unserer entferntesten Vorzeit und verbirgt einen enigmatischen Subtext.
Hinge man die Scheibe an eine Decke und legte sich darunter auf den Rücken, entspräche dies dem Liegen auf einer nächtlichen Lichtung: von Dämmerung zu Dämmerung wäre man so den unmerklichen Bewegungen und dem Leuchten der Himmelskörper ausgesetzt und könnte ebenso geschlossenen Auges Himmelszelt und Nachtgeräusche wahrnehmen in Berührung mit den Anfängen unserer Vergangenheit.
Solcherart Vorstellung bestimmt meine Komposition, die es unternimmt, die auf der Scheibe sichtbaren Gestalten zu umschreiben und sich ihnen anzunähern: den beiden Horizontbögen, dem zunehmenden und dem vollen Mond, dem Siebengestirn der Plejaden und als deren einzig nicht rationalem Bestandteil dem Sonnenschiff.
Sechs Nachtstücke stellen nun eher Zustandsbeschreibung als entwicklungshaft Angelegtes, eher Andeutung als Abbildung dar. Langsame Bewegungen, getragene Tempi, zurückgenommene Lautstärken, kristalline Gewebe und tastend-vorsichtige, luzide Gesten herrschen vor, quasi auf der Suche nach magisch-schwebenden Momenten, von Cembalofarben immer wieder in einen silbrig-glitzernden Lichtschein getaucht. Dabei sind die "Sonnenstücke" Nr. I und Nr. VI enger aufeinander bezogen als die "Mondstücke" Nr. II und Nr. V, während in jedem dieser vier Abschnitte mottohaft Wiederkehrendes und scharnierartig Gleiches wiederholt Verwendung finden. Fester gefügt und überhaupt ganz anderer Art sind hingegen die aus gegensätzlichen Gruppen gestaltete Nr. III und das unaufhörlich-unvorhersehbare Klangkontinuum von Nr. IV, welche beide auf ihrem jeweils eigenen Material bestehen.