Die Symphonie als neben dem Streichquartett zentrale instrumentale Form der letzten drei Jahrhunderte ist in die Jahre gekommen, kaum noch gibt es einen gesellschaftlichen Bedarf nach neuen. Bereits nach Beethoven wurde die Gattung für beendet erklärt, und seit Mahlers Personalisierung der Form weiß man nicht mehr, was eine Symphonie ist. Aber trotzdem sie der musikalischen Avantgarde in der Folgezeit bis zum heutigen Tag verdächtig erschien, wurden auch das ganze 20. Jahrhundert hindurch Symphonien komponiert, blieb sie in manchen Ländern gar eine selbstverständliche Form. Im Widerstand gegen die Forderungen der Moderne und im doppelten Bezug einer Verpflichtung und Abgrenzung zur Vergangenheit kam der symphonischen Anstrengung zunehmend etwas gleichsam Heroisches zu.
Seit meinen musikalischen Anfängen fasziniert mich noch vor den Bereichen der Kammermusik und der Oper derjenige der Orchestermusik, und innerhalb dessen vor allem die Gattung der Symphonie. Eine tiefe Urlust verbindet mich seit je schon allein mit dieser Bezeichnung, einer der wenigen originär musikalischen. Nachdem ich in einem Zeitraum von etwa fünfzehn Jahren bereits acht zum Teil sehr umfangreiche Orchesterstücke komponiert hatte, bedeutet mir meine 1. Symphonie nun zunächst eine Art von Zusammenfassung und Bündelung bislang gemachter Erfahrungen mit dem Orchester. Der vorab gewählte Titel drückt ferner den Anspruch an mich selbst aus und stellt das fertige Stück zwangsläufig in einen historischen Kontext. Er benennt daher auch den entstehenden Schwindel angesichts der Frage, ob einer Gattung dieses immensen Prestiges, dieser Schwerkraft und dieser überwältigenden Tradition noch etwas Nennenswertes hinzuzufügen ist. Die daraus resultierenden Skrupel sind nur zu überwinden im Moment des Arbeitens, das zu sehr auf sich selbst bezogen ist, als daß es sich um seine geschichtliche Aufgabe unausgesetzt bekümmern könnte.
Symphonie als große orchestrale Form scheint mir heute beschreibbar als ein Gestalten großer Entwicklungen und ausgedehnter Zeitabläufe. Bekenntnishaftes, Visionäres, Allumfassendes haben als bestimmende und nicht mehr zu steigernde Kategorien inzwischen ausgedient. Symphonie als Gattung, die wie ein Schmelztiegel Alles in sich aufnehmen kann und den Komponisten in seinem gegenwärtigen Stadium von Komplexität zeigt. Symphonie als scheinbar altmodisches, widersprüchliches Trotzdem.
In ihrer Folge langsam – schnell – langsam – schnell teilen die vier Sätze meiner Komposition sehr Verschiedenartiges mit. Dabei ergeben sich Korrespondenzen etwa durch das Schnittartige des 1. und 4., die gleichartigen Anfänge des 1. und 3. oder die Rückläufigkeit des 2. und 3. Satzes ab deren Mitte. Darüberhinaus verknüpfen zahlreiche wiederkehrende Gestalten das Gesamt meiner Komposition, darunter vor allem ein zentrales chromatisch-kreisendes Achtton-Motiv, quasi ein "thème cyclique", das im Durchscheinen der traditionellen Satzcharaktere und in der Dynamik einer Entwicklung jedesmal wie verwandelt erscheint. Indem also die Sätze mannigfaltig aufeinander bezogen und ihre Gewichte genau ausbalanciert sind, könnte einer losgelöst von den anderen kaum existieren.
In meinem Bemühen um eine differenzierte Ausdrucksfülle, in ihrem "symphonischen Klangbild", in ihrer Einbeziehung auch "verbrauchter" Materialien und in ihrer formal ungebundenen Anlage will meine Symphonie nicht zuletzt einen Beitrag zum Fortwähren dieser einmaligen Gattung darstellen, die angesichts ihres weiten Abstands zum Warencharakter mittlerweile eine gleichsam radikale Würde besitzt. Die Symphonie heute: eine beinah lächerlich unzeitgemäße und geschichtlich nicht zu überbietende widerspruchsvolle Gegebenheit.

Nach oben