Möglicherweise läßt sich das Komponieren Alois Bröders am griffigsten auf die Formel "Tradition und Zeitgenossenschaft" bringen. Der Darmstädter Komponist, für zahlreiche seiner Werke mit (inter)nationalen Preisen bedacht, scheut in seiner Tonsprache weder den ästhetischen Rückbezug auf die klassische Moderne (Wagner, Debussy) noch einen politisch eindeutigen Ansatz. Womit Bröder zwischen den Polen Tradition und Moderne Position bezieht: ernsthaft, vielseitig, gelegentlich ironisch – immer aber engagiert.
Die jüngste CD Îsôt als blansche mains versammelt Mitschnitte deutscher Rundfunkanstalten mit verschiedenen Interpreten und macht exemplarische Arbeiten der Jahre 1989 bis 1998 zugänglich. Sie vermittelt darüber hinaus den Einstieg in Bröders stilistische Vielfalt und gedankliche Tiefe auf ebenso faszinierende wie berührende Weise.
Isolde mit den weißen Händen (1989/90), das titelgebende Werk, schreibt (als dichte Orchesterfantasie mit Frauenchor) im Rückbezug auf Wagners Helden die Tristansche Verwirrung angesichts der nah-fernen Geliebten rauschhaft fort. In den MÄRZ-Gedichten (1995/97) für Gesang und Ensemble bzw. Klavier rückt der Komponist die Texte des schizophrenen Dichters Alexander März vor einen deformierten, die vermeintliche "Normalität" bizarr widergebenden Klangspiegel. Ein Thema, dem Bröder auch in der Tonband-Komposition Im Irrenhaus (wieder auf einen "März"-Text Heinar Kipphardts), etwas distanzierter allerdings, nachgeht.
Um "dichte Verbindungen" geht es ihm auch in seiner Klavierkomposition TOMBEAU (1991, "es gibt für Andere nichts Entfernteres als fremde Schmerzen") und dem Duo für Cello und Gitarre, Sprünge (1992). Sein Bläserquintett Blumen legen (1992/93) schließlich, gewidmet den Opfern des Möllner Brandanschlags, durchzieht ein Schubertsches Impromptu: Die Zeiten sind unbegreiflich, die Sehnsucht nach dem Heilsein ungebrochen. Alois Bröder sieht beides, wissend um das Utopische allen Sehnens. Zum Beispiel nach Isoldes weißen Händen.

Michael Neuner
(in: Frankfurter Rundschau, 23.7.2001)

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Besucher der 36. Tage der Neuen Musik Hannover werden sich an die Uraufführung von Alois Bröders Îsôt als blansche mains (Isolde mit den weißen Händen) im großen NDR-Sendesaal erinnern. Die ebenso subtile wie visionäre Musik mit der von Johannes Kalitzke dirigierten NDR-Radiophilharmonie und der ganz vorzüglichen Camerata Vocale Hannover (Einstudierung: Hans-Dieter Reinecke) liegt nun als Teil eines Komponistenporträts auf CD vor; und der am 28.1.1994 gemachte Mitschnitt bestätigt Alois Bröders Kunst der Andeutungen. Man höre dazu nur den am Ende der siebenten Minute erfolgenden Einsatz des Chores – die akustische Gestalt der Isolde wird vom Komponisten nicht auf eine Stimme fokussiert, sondern erscheint in vervielfachter Form als in seinen Umrissen rätselhaft bleibendes Panorama.
Fast die Hälfte des Bröder-Porträts stützt sich auf Texte Heinar Kipphardts, wobei in den beiden jeweils sechsteiligen Versionen der MÄRZ-Gedichte der Sänger/die Sängerin in einer Inszenierung für das Musiktheater unsichtbar sein sollen – eine Regieanweisung, die naturgemäß von einer nur hörbaren CD-Edition nicht realisiert werden kann. Und dennoch gelingt es vor allem der Sopranistin Eva Lebherz-Valentin, die zweite Serie der nur noch vom Klavier begleiteten MÄRZ-Gedichte in ein beschwörendes Piano zu rücken. Man höre dazu nur den Dreizeiler Wenn wir Wasser wären und beobachte dabei, wie die anfängliche Viertonfigur des Klaviers zunächst von einer synkopierenden Gegenbewegung überzogen wird und ganz zum Schluß äußerst vorsichtig und gerade noch wahrnehmbar in die Singstimme wandert.

Ludolf Baucke
(in: Noten und Notizen Nr.30 – 1/2002 der Hannoverschen Gesellschaft für Neue Musik)

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