...Um diese nahezu euphorische Grundhaltung Bruckners mit gegenwärtigem Denken zu konfrontieren, wagten die Veranstalter das Experiment, die außerdem vorgestellte sogenannte "Nullte" Sinfonie des österreichischen Meisters mit einem völlig neuen Orchesterwerk des 1961 geborenen Darmstädter Komponisten Alois Bröder zu konfrontieren. Dessen Vingt Moments bestehen aus zwanzig Augenblicken, markanten Gedankensplittern von oft nur wenigen Takten, die Erwartungen wecken, emotionsgeladene Dialoge anregen und doch plötzlich abbrechen, oft unvermittelt verhallen.
Statt diese phantasievollen, klanglich nie verletzenden Miniaturen der frühen Bruckner-Sinfonie gegenüber zu stellen, verzahnte das Konzert beide Werke reißverschlußartig, so daß die vier sinfonischen Sätze aufgebrochen wurden und in ein frappierendes Wechselspiel mit der zeitgenössischen Musik gelangten. Dadurch zeigte sich eine erstaunliche Nähe zwischen vertrauter Tonsprache und moderner Klangflächentechnik, zum anderen aber auch ein scharfer Kontrast im jeweiligen Zeitgefühl.
Die Zuhörer würdigten diese aufschlußreiche Programmidee, die gelungene Uraufführung des Komponisten aus ihrer Partnerstadt sowie die engagierte Leistung aller Beteiligten an diesem Abend mit viel Beifall.
Christoph Sramek
(in: Freie Presse Chemnitz/Freiberg, 5.9.2005)
Mit einem musikalischen Experiment ist am Sonnabend die 12. Saison des Mittelsächsischen Kultursommers zu Ende gegangen, die 4000 Mitwirkende in 40 Kulturveranstaltungen vereint hat. Mit Anton Bruckner und dem Darmstädter Alois Bröder (Jahrgang 1961) standen beim Abschlußkonzert im Freiberger Dom unter Leitung von Generalmusikdirektor Jan Michael Horstmann zwei Komponisten auf dem Programm, die allenfalls ihre Initialen gemeinsam haben.
Die vier Sätze von Bruckners Frühwerk, der später von ihm verworfenen zweiten Sinfonie d-Moll (Die Nullte), wurden von der Mittelsächsischen Philharmonie nicht als Block dargeboten, sondern verknüpft mit Alois Bröders Werk Vingt Moments. Das erlebte im Beisein des Komponisten seine Uraufführung. Die musikalischen Momentaufnahmen, Skizzen, Miniaturen des zeitgenössischen Komponisten, oft nur wenige Takte lang, wollen jenseits aller klassischen Konventionen den Klang als sinnliches Phänomen erlebbar machen. Mal legten die Streicher breite Klangflächen, dann stiegen einzelne, verlorene Töne des Pianos in die Weite des Raumes, oder es kam das gesamte instrumentale Spektrum des Orchesters zum Tragen. Im Wechsel mit den vier Sätzen der Bruckner-Sinfonie ergaben sich zum einen starke Brüche, teilweise nahmen die Werke jedoch auch die Stimmung des jeweils anderen auf. So leitete Moment XVI "intim", bei dem die Bläser sacht und zögerlich musikalische Ideen entwickelten, in das verhalten einsetzende Finale der Sinfonie über.
Claudia Hanisch
(in: Freie Presse Freiberg, 5.9.2005)
Bereits vor drei Jahren entstanden die Vingt Moments des 1961 in Darmstadt geborenen Komponisten Alois Bröder, doch erst jetzt in Landau wurden die 20 Momentaufnahmen im Ganzen uraufgeführt. Im vergangenen Jahr erklangen sie verbunden mit Bruckners "Nullter". Ein allemal legitimes und vom Komponisten erlaubtes Verfahren, denn der versteht sein Werk als offen im mehrfachen Sinn, als dem Augenblick verhaftet und alles andere als fest sich zum Werk fügend. Anders als Anton Webern, dessen kurze Orchesterstücke das Ergebnis äußerster Konzentration sind und in wenigen Takten eine ganze sinfonische Welt aufbauen, wirken Bröders 20 Momente wie Fragmente, wie klingende Asteroiden, die frei im Raum schweben. Die Tonsprache ist hoch expressiv, erinnert gelegentlich an Mahler und Alban Berg, die Struktur komplex, der Klang des großen Orchesters ausgesprochen vielfarbig und die Dynamik weit gespannt. Eine Sinfonie in Schlaglichtern, in der auch ein Walzer vorkommt und die von der Staatsphilharmonie unter ihrem Chefdirigent Ari Rasilainen mit packender Intensität gespielt wurde.
Die Rheinpfalz, 28.9.2006
Ein ziemlich gewagter Saisonauftakt der "Mainzer Meisterkonzerte" in der Rheingoldhalle mit zeitgenössischer Musik: Mit ihrer aphoristischen Kürze weckten die Vingt Moments des 1961 in Darmstadt geborenen, bei der Aufführung anwesenden Komponisten Alois Bröder aber gleich das Interesse der aufgeschlossenen Zuhörer. Die stets nur sekundenkurzen 20 Szenen klangen nämlich im quasi filmmusikalisch-plastischen Vortrag der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Chefdirigent Ari Rasilainen sehr abwechslungsreich: vom äußerst Reduktiven und Kargen über heftigere Gesten im fast vollen Orchestersatz bis zum sporadisch Idyllischen. Das alles wirkte wie frei assoziativ zusammengeschnitten und vereinte eine Fülle von Ideen kompakt auf engstem Raum. Ein Gegenentwurf zu manch moderner Redseligkeit.
Guido Holze
(in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.2006)
Nach oben