Nach etwa 120 Kompositionen, innerhalb derer nahezu alle musikalischen Gattungen vertreten sind, stellt NUVOLE mein erstes Solokonzert dar. Es ist getragen von der Vorstellung, das solistische Instrument bevorzugt, quasi primus-inter-pareshaft zum Erklingen zu bringen, ohne an Virtuosität als solcher – zumal innerhalb der über lange Zeit durch den Vorhaltsquartsextakkord eingefaßten Solokadenz – nennenswert interessiert zu sein. Das Orchester ist im Zusammenwirken nicht nur Untergrund und Stichwortgeber, sondern obendrein Reaktionskörper und gleichwertiges Gegenüber. Die Oboe, mir in "neuer" Musik zu oft zu "verquält" erscheinend, soll in NUVOLE zum Singen und Leuchten gebracht werden, wobei die differenzierte Ausgestaltung des Tones wichtig ist und nicht seine Verfremdung.

Als Kunst in der Zeit ist Musik in jedem Augenblick nicht mehr das, was sie gerade noch war – so wie die Wolken, die auch in ihrer Lautlosigkeit schon immer zu musikalischen Bezugnahmen angeregt haben. Beide existieren im unaufhörlichen Spannungsfeld zwischen Wachstum und Auflösung. Die Federwolke, die Haufenwolke, die Regenwolke, die Schleierwolke, die eine ständig in eine andere übergehend: mal jagen sie scheinbar schwerelos einander, mal ziehen sie dahin wie Eichendorffs "schwere Träume".
In der Antike herrschte die Vorstellung, daß die Erde die vier Elemente ausatmet, die sich dann als Wolken am Himmel konfigurieren, wo sie im Christentum hernach die Schwelle zum Jenseits bedeuteten. Inzwischen gälte es eher, jenseits der Metereologie den Wolken ihr Geheimnis wiederzugeben, die Entzauberung des Himmels zurückzunehmen, offen zu sein für ihre Farben, für das Licht, das sich in ihnen bricht, für die Vögel, die seit je unter und in ihnen kreisen.

NUVOLE besteht aus vier Sätzen, drei eher getragenen und an dritter Stelle einem sehr raschen. Die verschiedene Wolkengattungen bezeichnenden Satztitel weisen dabei weniger auf eine Transformation vom Visuellen ins Hörbare als auf das, was die Betrachtung eines solchen Formenspiels in uns an Emotionen und Resonanzen auslösen kann – unser Inneres weitend. Womöglich repräsentiert dabei die Oboe diesen Betrachter in solcher Begegnung und ist dabei auch Trägerin des Geschehens und Brennpunkt musikalischer Entwicklungen.
Dominiert zunächst ein weitgespanntes Singen, Wiederkehrendes immer wieder verwandelnd (I.), prägt daraufhin ein fremdartig tänzerischer Gestus das Geschehen (II.). Auf atemlos Jagendes und hymnisch Endendes (III.) folgt ein mehrstufiger Abgesang, dessen Charakteristik durch den Wechsel zur Oboe d'amore schließlich noch intensiviert wird (IV.). Mehrere Motive durchziehen das gesamte Stück, dessen Sätze sie verklammern, deren Unterschiedlichkeit sie betonen. Im dritten Satz erscheint an Gliederungspunkten mehrfach der ominöse Vorhaltsquartsextakkord, jedoch in gewisser Ironie lediglich als eine Art von Scharnier. Die beiden Ecksätze beginnen in korrespondierender Weise, während in den Mittelsätzen größere Formabschnitte nach jeweils verwandten Binnenabschnitten wiederkehren, nun aber mit Elementen aus diesen fusioniert (II.) oder in ein gänzlich Neues leitend (III.). Alle vier Satzschlüsse eröffnen einen jeweils unbekannten Raum, neue Möglichkeiten, neue Formationen, neue Fortsetzungen andeutend.