Robert Schumanns "Liederkreis op. 39" von 1840 gehört zu den Ikonen des Musikbetriebes und ist ein Stück, dem ich schon seit langem verfallen bin. Zweien seiner Lieder habe ich mich bereits 1998 in meinem Orchesterstück "Sept Variations" einmal genähert, in Metamorphosen unternahm ich dies nun in Bezug auf den gesamten Zyklus.
Den zwölf Schumannschen Liedern stellte ich rückläufig meine zwölf "Verwandlungen" gegenüber, so daß die einzelnen Glieder der zwölf entstandenen Paare im Verhältnis ihres zeitlichen Erscheinens einem Beschleunigungs- und Verlangsamungsprozeß unterworfen werden (siehe formaler Überblick!). Die daraus erwachsende gegenläufige Großform erweitert so den Lieder-Kreis-Gedanken Schumanns, der vor allem die zirkelartige Folge der Lied-Tonarten betraf. Diese Folge fis-A-E-G-E-H / e(a)-a-E-e-A-Fis wird unter Bezugnahme auf die entsprechende Partie in Schumanns "Carnaval" von 1834/35 in "Sphinxes" gar beim Wort genommen: sie erscheint als zwölfakkordige, harmonisch angereicherte Progression in extremer Zurückgezogenheit und Gestaltlosigkeit exakt in der Mitte, als formaler Umschlagpunkt meines Stückes und somit genau an der Nahtstelle des ja schon in zwei mal sechs Lieder zweiteilig angelegten Opus 39.
Einen internen Umschlagpunkt erfährt darüberhinaus fast jede einzelne "Metamorphose": zumeist aus Momenten des entsprechenden Schumann-Liedes gestaltet, verwandeln sich die ursprünglichen Materialien nach entwickelnden Phasen plötzlich in fremd- und andersartige.
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Indem ich Rhythmisches isolierte (Nr.1), im Krebsgang einen Ausbruch ansteuerte (Nr.2), eine Schlußformel verwendete, die ihr Ziel nicht erreicht (Nr.3), einen E-Dur-Klang herausmeißelte (Nr.4), die Schumannsche Technik des ungenauen Unisono einsetzte (Nr.5), eigentlich Ungleichzeitiges simultan erklingen ließ (Nr.6), ein rufendes Begleitmotiv ausbaute (Nr.7), im Klangraum das Original gelegentlich wie von ferne an die Oberfläche treten ließ (Nr.8), Einzeltöne herausbrach und verknüpfte (Nr.9), Gespinste einander ständig neu überlagerte (Nr.10), ein Nachspiel verallgegenwärtigte (Nr.11) und einen harmonischen Körper verfremdete (Nr.12), versuchte ich, ohne ins Zitathafte abzugleiten, das Wohlbekannte durchschimmern zu lassen, Neues aus Altem zu erzeugen und das Sedimentierte des Überkommenen auf sein Potential hin zu befragen.
Über das bereits Gesagte hinaus verbinden sich Original und Verwandlung, vielleicht ein übergeordnetes Gesamtstück ergebend, durch zahlreiche hinzukomponierte Übergänge, durch das ihnen gemeinsame Instrument 'Klavier' (die Singstimme bleibt den Liedern vorbehalten) und durch die an zentralen Stellen der jeweils originalen Liedpartitur hinzugefügten, einzelne Linien verdoppelnden "Zuspiele" des Ensembles. Dieses Ausstrahlen der Schumannschen Liedwelt in den Klangraum und das immer wieder Unterbrochenwerden von den verfremdenden Spiegelungen meiner Kompositionen vermögen das alt Vertraute möglicherweise neu erlebbar und das "Umsetzen der feineren Züge des Gedichts" (Schumann) aufs Neue wieder spürbar zu machen.
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