Spätestens mit Beginn der sogenannten "Neuen Musik" 1945 existiert kaum noch eine im engeren Sinne zeitgenössische Unterrichtsliteratur, und neiderfüllt blickt man in Zeiten zurück, als Komponisten wie Bach, Schumann oder Bartók auch "pädagogische", vergleichsweise einfach zu spielende Stücke schrieben.
So überrascht es nicht, daß es im Gitarrenbereich zu Brouwers "Estudios Sencillos" (1958 ff.) noch immer keine in etwa gleichwertige Alternative gibt, ein Umstand, der für mich Anreiz genug zur Komposition der vorliegenden fünf Stücke war.
In den 60er und 70er Jahren hatte der vor allem als Ethnologe, Sexualwissenschaftler und Schriftsteller arbeitende Ernest Borneman (1915-1995) auf Spielplätzen, in Schulen etc. eine Unzahl von von Kindern gesprochenen Versen aufgezeichnet und sie in drei umfangreichen Bänden herausgegeben.
Diese Verse, voll von Doppeldeutigkeiten, Anzüglichkeiten und versteckten Bedeutungen, stellen dabei häufig Verballhornungen von Erwachsenenversen dar und sind für mich seit vielen Jahren von großem poetischen Reiz.
Setze ich fünf davon in Bezug zu jeweils einem Stück Musik, resultiert eine Wechselwirkung dieser beiden ästhetischen Ebenen: indem das Komponierte nun konkreter, quasi körperhafter anmutet und umgekehrt die Verse eine Dehnung in der Zeit erfahren, verändert sich die Wahrnehmung von Sprache bzw. Musik, die sich dann gegenseitig zu spiegeln scheinen.
Obwohl in Fünf Verse durchaus abbildhafte Momente enthalten sind, geht es in meinem Stück somit weniger um irgendeine Art von Textvertonung, als vielmehr um das Gewinnen verschiedener Wahrnehmungsweisen: die von absoluter oder nicht-absoluter Musik, von reiner oder musikalisierter Sprache oder schließlich die einer Verknüpfung all dieser Betrachtungsebenen.

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