Das gitarristische Solostück Erdferne entstand bereits während Bröders Studienjahren bei Toni Völker (1987/1988). Es spiegelt vielleicht auch darum die Suche des jungen Komponisten nach rhythmischen und farblichen Differenzierungen, nach möglichst extremen Gitarrenklängen wider. Die Vielfalt wächst in dieser Komposition wuchernd, wirkt wie zufällig und formiert sich in der Wahrnehmung des Hörenden nicht nach einem stringenten Bauplan. Zwar korrespondieren manche Formteile miteinander, wie zum Beispiel einige der Anfangs- und Schlusstakte durch eine annähernd spiegelförmige Anlage. Diese Symmetrie wird dem nicht mitlesenden bzw. darum nicht wissenden Hörer jedoch nur 'unterirdisch' vermittelt. Das Nebeneinanderstehen meditativ-besinnlicher wie motorisch-hämmernder Momente zieht den Hörer unwillkürlich in eine Traumlandschaft. So lässt sich schon an den Vortragsbezeichnungen Wildheit, Unvorhersehbarkeit, auch technische Herausforderung ablesen: "nervös", "presto possibile", "pfeifend", "hineintastend/ausprobierend", "ineinander verknoten" (der Hände), "schwerfällig schnaufend", "in völliger Bewegungslosigkeit". Ausgehend von einem Bartók-Pizzicato in dreifachem sforzato und tiefer Lage, das nacheinander Vibrato, Triller, Saitenverschiebungen und rhythmische Einschwingvorgänge auslöst und zudem den zentralen Impuls für sämtliche nachfolgenden Artikulationen darzustellen scheint, erzählt die Sologitarre ohne zwingend logischen Faden. Sie bahnt sich aber trotz der Brüche mal einsam singend, mal forsch ihren Weg durch tonraumdurchwandernde Repetitionen, Schüttel- oder Nageeffekte, deren entwicklungsloses für sich Stehen das von Assoziationen durchzogene Land der Träume treffend charakterisiert. Hiermit wird die Erdferne über den astronomischen Begriffhinausgehend zum Symbol der Realitätsferne. Dabei umspannt die elliptische Bahn der Psyche sowohl tiefgründige Erlebnisse und abgründige Unsicherheit als auch begründete Hoffnungen, gründliche Lebenslust und grundlos Banales. Der Eindruck des Chaotisch-Verlorenen, Chimärenhaften löst sich, wenn überhaupt, erst mit den zwei arpeggierten Schlussakkorden – einem ernüchterten Augenblinzeln beim Erwachen vergleichbar.

Veronika Jezovšek
(in: Booklet zu "Kammermusik mit Gitarre")